
Ich habe ja immer eine diebische Freude daran, in Filmen einen klaren Schnittpunkt zwischen Realitäts- und Traumlogik zu entdecken (ohne dass dieser explizit erwähnt wird). Dumm nur, dass das offenbar keiner über mich weiß, sonst hätte man mir bestimmt KINGSMAN sehr viel früher zum unbedingten Anschauen empfohlen. Also musste der ausreichend spaßige Trailer für die Fortsetzung, meine Wertschätzung für Matthew Vaughn und meine zufällige Lust auf überdrehten Actionquatsch das Versäumnis wieder geradebiegen.
Und genau das war meine große Fehleinschätzung: Überdrehter Actionquatsch. Ich bin doch bislang davon ausgegangen, dass all diese Szenen, denen man in supergeilen(tm) Gifs auf Reddit und sonstwo so begegnete, vor allem Schauwerte sind. Etwas, das man zwar schön finden kann, aber dessen Unsinnigkeit man irgendwie auch in Kauf nehmen müsste. Diese Choreografien irgendwelcher Kampfsequenzen, die sich nur als völlig überzeichnete Hommage an John Woo und wie sie alle heißen ausreichend legitimieren lassen. Das Ultrabritische im Kontrast zum Wenn-schon-nicht-ultra-dann-doch-zumindest-ordentlich-Brutalem, das schon auf den ersten Blick als etwas alberner Kommentar neben dem glattgebügelten James Bond stehen kann. (Dazu auch mein Lieblingszitat: “A proper Martini. With gin of course. Stirred for ten seconds while glancing at an unopened bottle of vermouth.”)
So also die oberflächlichen Gedanken, die zwar alle irgendwie nett waren, aber mir dann als Grund zum Anschauen irgendwie ein paar Jahre lang doch nicht gereicht hatten. Mensch, hätte mich mal jemand aufgeklärt!
Denn Matthew Vaughn – Wertschätzung mal wieder bestätigt – gelingt das Kunststück, die Albernheit auch noch mit Sinn aufzuladen. Ja, all das was oben steht, steckt da drin. Aber über den postmodernen Selbstzweck hinaus benutzt Vaughn all diese Spielereien auch noch, um eine ziemlich wunderbare Familiengeschichte aus den Augen (und mit den Aufschneidereien) eines Teenagers zu erzählen. Denn wenn man mal von dem ganzen Agenten-Rumms absieht, dann geht es in KINGSMAN eigentlich um einen Halbwaisen, der über seinen verstorbenen Vater nicht viel weiß. Irgendwer hat ihm mal erzählt oder er hat es sich selbst ausgedacht, dass jener Vater heimlich ein Superagent eines supergeheimen Geheimdienstes gewesen sei, ein Held natürlich, und als solcher quasi unsterblich, obwohl er jetzt trotzdem tot ist. Also wächst dieser Halbwaise so vor sich hin, etwas zerrüttete familiäre Verhältnisse und Wohnung im typischen britischen Problembezirk inklusive, bis er dann mal etwas frustriert über die Stränge schlägt und in einem Polizeirevier landet. Und anstatt aus der Realität per Verhaftung eine noch tristere zu machen, schwenkt Kingsman an dieser Stelle in die Traumlogik um: Eggsy wird rekrutiert von einem alten Freund seines Vaters, wird selbst zum Superagent, bekommt einen Ersatzvater, verliert ihn wieder, und geht daraus – nach einer Reihe kindlich imaginierter Superstunts – tatsächlich als Erwachsener hervor.
Ich glaube, so mancher Filmemacher wäre der Versuchung des hemmungslosen Quatsches erlegen. Das hätte vielleicht funktionieren können, oder es wäre eine blechfreie Version des gefühlt siebzehnten TRANSFORMERS-Films herausgekommen. Weil Vaughn aber hinter all dem Krawumm eine ganz mondäne und sogar ein bisschen tragische Adoleszenz-Geschichte versteckt, ohne den Zuschauer jemals mit der Nase darauf zu stoßen, dass er quasi den falschen Film schaut, ist KINGSMAN trotz allem wunderbar erdnah. Jetzt frage ich mich nur, warum Colin Firth angesichts dieser Erkenntnis in Teil zwei denn zurückkehren muss. Und verfalle wieder in meine alten oberflächlichen Vorurteile gegenüber dem Sequel. Hoffentlich zu Unrecht.
Randnotiz: Nur das doofe Gelispel von Sam Jackson hat mich wirklich, wirklich genervt.
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